Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken

· Stellungnahmen

zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung
(Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drs. 16/7439


I. Allgemeine Erwägungen

Der Familienbund begrüßt die grundsätzliche Zielrichtung des Gesetzesentwurfs zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Insbesondere die Bemühungen mit dem Ziel, dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ stärker als bisher Rechnung zu tragen, werden unterstützt. Dazu gehören die Anhebung der Leistungsbeträge, vor allem im Bereich der häuslichen Pflege, die Einführung eines Anspruchs auf Pflegeberatung, die Schaffung von Pflegestützpunkten sowie die Einführung einer Pflegezeit für Beschäftigte. Der Vorrang der ambulanten vor Formen der stationären Versorgung begründet sich aus den Bedürfnissen vieler pflegebedürftiger Menschen, die zunächst in der Familie sowie im häuslichen Umfeld und erst in zweiter Linie durch professionelle Hilfe Unterstützung suchen.

Ebenso positiv zu bewerten ist die Ausweitung der Leistungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Die Bewältigung der vielfältigen Problemstellungen, die mit Erkrankungen einhergehen und die einen erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarf nach sich ziehen, ist eine zentrale Herausforderung für die Zukunft der Pflegeversicherung. Die derzeitige Definition der Pflegebedürftigkeit, das Verfahren der Leistungszuordnung und der Verrichtungskatalog haben bisher die mit Demenz verbundenen erheblichen Betreuungsaufwendungen weitestgehend unberücksichtigt gelassen.

Der Familienbund mahnt zugleich an, die Reform der Pflegeversicherung zu nutzen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 konsequent umzusetzen. In diesem Urteil wird ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet.
Mit dem vorliegenden Entwurf ist vorgesehen, den um 0,25 Prozentpunkte erhöhten Beitrag für Kinderlose beizubehalten. Es soll auch nach der Reform nur eine einheitliche Entlastung geben unabhängig davon, wie viele Kinder eine Familie hat. Damit ist nach wie vor die Staffelung der Beitragsentlastung nach Kinderzahl nicht erfüllt. Der Aufwand für die Kindererziehung ist jedoch in einer kinderreichen Familie viel höher als in einer Familie mit einem Kind. Verfassungsgemäß ist aus unserer Sicht allein, die Entlastung nach der Kinderzahl zu staffeln. Daher fordern wir, eine Beitragsermäßigung für jedes Kind zu gewähren.

In seinem 2002 vorgelegten Modell hat der Familienbund zur Umsetzung der o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Freibetrag von 8.625 Euro jährlich je Kind vorgeschlagen, auf den kein Arbeitnehmer-Beitragsanteil erhoben werden sollte. Dies entspricht einer Entlastung pro Kind von 73 Euro jährlich bzw. etwa 6 Euro monatlich.

 

II. Zu den Regelungen im Einzelnen


1. § 30 SGB XI-E
Der Familienbund begrüßt die Implementierung einer Regelung zur Leistungsdynamisierung der Pflegeversicherung. Nur durch eine Angleichung der Leistungsbeträge kann ein Absenken des realen Leistungsniveaus und damit der Qualität der Pflege verhindert werden. Eine Nichtdynamisierung hat eine erhebliche Steigerung der Eigenbeträge der Versicherten zur Folge. Dies wiederum führt zu einem Anwachsen der Sozialhilfeleistungen.

Seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 ist eine Anhebung der Leistungssätze trotz gleichzeitigem starken Anstieg der Kosten im Pflegebereich nicht erfolgt. Die mit Inkrafttreten des Reformgesetzes vorgesehene Erhöhung der Beträge kann den Realwertverlust nur teilweise ausgleichen. Die im Gesetzesentwurf geregelte Dynamisierung der Sachleistung erst ab 2014 wird zu einem erneuten Realwertverlust der Sachleistungsbeträge führen. Um die Qualität der Pflege auf ihrem ursprünglichen Niveau zu sichern, ist jedoch eine Wiederherstellung des realen Wertes der Leistungen aus der Pflegeversicherung gefordert, den sie mit ihrer Einführung hatten. Aus diesem Grund ist eine Anhebung der Beträge erforderlich, die den Wertverlust infolge der Preissteigerungen seit Bestehen der Pflegeversicherung vollständig kompensiert, sowie eine künftige Dynamisierung entsprechend der Preissteigerungen ab Inkrafttreten des Reformgesetzes. Die jährliche Anpassung entsprechend der Preissteigerungen ist im Gesetz festzuschreiben.

2. § 45b SGB XI-E
Positiv ist die Aufstockung der Leistungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz auf bis zu 2.400 € pro Jahr. Als problematisch wird erachtet, dass sich die genaue Höhe des Anspruchs erst auf der Grundlage von Richtlinien, die unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen erarbeitet werden sollen, ergibt. Damit bleibt unklar, wie und in welchem Umfang Demenz bei der konkreten Leistungsgewährung berücksichtigt wird. Der veranschlagte Anstieg des Beitragssatzes um 0,25 Prozentpunkte lässt befürchten, dass es zu einer sehr restriktiven Einstufungspraxis bei Demenz kommen wird. Eine realitätsgerechte Erfassung und Berücksichtigung des erheblichen Betreuungsbedarfs und –aufwands gerade im Bereich der häuslichen Pflege erscheint zweifelhaft und zumindest mit der angestrebten Beitragssatzanhebung nicht realistisch.

3. § 92c SGB XI-E
Die Einrichtung von Pflegestützpunkten ist als ein wichtiger Schritt zur Stärkung einer auf die Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen ausgerichteten kommunalen Infrastruktur anzusehen. Kritisch ist zu bewerten, dass die Pflegekassen Träger dieser Stützpunkte sein sollen. Objektiver wäre die Beratung der Betroffenen durch einen neutralen eigenständigen Rechtsträger, in den Versichertenvertreter, die Kommune und Selbsthilfegruppen einzubinden sind.

4. § 2 Abs. 1 PflegeZG-E
Befürwortet wird das Recht, bis zu zehn Tage von der Arbeit fern zu bleiben, um bei Eintreten einer Pflegesituation eine Pflege zu organisieren. Dieses Recht ermöglicht unabhängig von Urlaubsansprüchen, deren Geltendmachung mit dem Arbeitgeber abzustimmen ist, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf in einer akut dringlichen Situation zu gewährleisten.

Kritisiert wird die Nichtaufnahme eines „Pflegeunterstützungsgeldes“ in den Regierungsentwurf. Der Referentenentwurf sah eine entsprechende Leistung vor. Akut auftretende Pflegesituationen bei älteren Angehörigen sind den Situationen vergleichbar, in denen Beschäftigten nach § 616 BGB wegen der Erkrankung eines Kindes ein Freistellungsanspruch zusteht. Dieser Anspruch wird flankiert durch den Anspruch auf das sog. „Kinderkrankengeld“ gemäß § 45 SGB V. Ohne einen finanziellen Begleitanspruch ist eine rein arbeitsrechtliche Regelung für viele Beschäftigte, die auf ihr Einkommen zur Deckung des Lebensunterhaltes angewiesen sind, nicht umsetzbar.

5. §§ 3, 4 PflegeZG-E
Der Familienbund bewertet die Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen für  die Inanspruchnahme einer Pflegezeit positiv. Ein Drittel der Personen, die derzeit zu Hause Angehörige pflegen, musste zuvor die Erwerbstätigkeit komplett aufgeben, ein weiteres Drittel hat sie eingeschränkt. Die Einführung einer Pflegezeitregelung in der Gestalt eines Anspruchs auf Unterbrechung der Erwerbstätigkeit mit dem Recht, anschließend in den Betrieb zurückkehren zu können, verspricht daher eine beträchtliche Erleichterung für die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege.

Kritisch anzumerken bleibt die Begrenzung des Anspruchs auf höchstens ein halbes Jahr. Die Pflegerealität zeigt Pflegeverläufe mit höchst unterschiedlicher Dauer, die oftmals auch über ein halbes Jahr hinausreichen. Um die verschiedenen Pflegekonstellationen möglichst umfassend von der Anspruchsnorm einschließlich Kündigungsschutz zu erfassen, wird eine der dreijährigen Elternzeit analoge Regelung empfohlen. Damit wird auch der prinzipiell gleichwertigen Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung von Kindern auf der einen Seite sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Angehörigen auf der anderen Seite Rechnung getragen.

Für den Familienbund der Katholiken
Reinhard Loos
Markus Faßhauer

Berlin, 15. Januar 2008


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