Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken

· Stellungnahmen · Steuern, Transfers, soziale Sicherung

anlässlich der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 14. Januar 2019 zu dem Antrag der Fraktion der FDP „Wirksame, digitale und transparente Familienleistungen – Die Evaluation von ehe- und familienpolitischen Leistungen als dauerhafter Prozess“ (BT-Drucksache 19/3174)   (Stellungnahme als PDF zum Download)

  • Zusammenfassung des Antrags der Bundestagsfraktion der FDP

Die Fraktion der FDP beantragt – in Anknüpfung an die 2014 von der Bundesregierung vorgelegte „Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland“ – „die Evaluation von ehe- und familienpolitischen Leistungen in einem regelmäßigen Turnus als dauerhaften Prozess durchzuführen“. Dies wird damit vor allem damit begründet, dass „sich die Zielsetzung der Familienpolitik, die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Familienleistungen und vor allem die gesellschaftlichen Realitäten von Familien regelmäßig im Wandel befinden“. Vgl. zu diesem Antragspunkt Abschnitt II dieser Stellungnahme (S. 3 f.)

Die Fraktion der FDP fordert eine Aktualisierung der Gesamtevaluation von 2014. Der Umfang der Evaluation soll erweitert werden:

  • Während sich die Gesamtevaluation von 2014 auf 14 zentrale ehe- und familienbezogene Maßnahmen des Bundes konzentrierte, sollen jetzt alle ehe- und familienpolitischen Leistungen des Bundes in den Blick genommen werden.
  • Neben den ehe- und familienbezogenen Maßnahmen des Bundes sollen auch diejenigen der Länder und Kommunen – „inklusive Schnittstellen, wechselseitiger Anrechnungsmodalitäten und Bürokratiekosten“ – untersucht werden.
  • Besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, wie die Leistungen durch Digitalisierung effizienter gestaltet werden können.
  • Beantwortet werden sollen zudem Fragen, die in der Gesamtevaluation offengeblieben sind. Hier verweist der Antrag insbesondere auf die am Schluss des Endberichts der Gesamtevaluation genannten Punkte.

Vgl. zu diesem Antragspunkt Abschnitt III dieser Stellungnahme (S. 4 ff., inkl. Ausführungen zur Gesamtevaluation von 2014).

Bei der Evaluation soll eine von der Bundesregierung vorgenommene „Priorisierung der familienpolitischen Ziele“ berücksichtigt werden. Vgl. zu diesem Punkt des Antrags Abschnitt IV. dieser Stellungnahme (S. 13 f.).

Der Antrag sieht folgende Fristen vor:

  • Spätestens Anfang 2019 soll mit der Fortführung der Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen begonnen werden.
  • Am 15. Dezember 2019 soll dem Deutschen Bundestag ein erster Bericht vorgelegt werden.
  • Der Endbericht soll dem Deutschen Bundestag bis spätestens zum Januar 2021 vorgelegt werden.

 

Vgl. zu diesem Punkt des Antrags Abschnitt V dieser Stellungnahme (S. 14).

  • Regelmäßige Evaluation sinnvoll – konkrete Prüfungsaufträge statt festem Turnus

Der Familienbund hält eine regelmäßige Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen grundsätzlich für sinnvoll. In der Tat können sich die gesellschaftlichen Realitäten sowie die Wünsche und Bedürfnisse von Familien ändern, was zu veränderten Zielsetzungen in der Familienpolitik führen kann. Solche größeren Verschiebungen der familienpolitischen Tektonik erfolgen eher in längeren Zyklen. Die im Jahr 2014 veröffentlichte Gesamtevaluation dürfte in dieser Hinsicht – im Hinblick auf die untersuchten Fragestellungen – noch aktuell sein.

Weiterentwickelte und neue Familienleistungen sollten generell auf ihre Wirksamkeit und Effizienz überprüft werden. Nach Einschätzung des Familienbundes geschieht das auch – wenn auch nicht immer im gleichen Umfang. Zum im Antrag genannten weiterentwickelten Elterngeld hat Bundesfamilienministerin Katharina Barley am 10. Januar 2018 dem Deutschen Bundestag einen „Bericht über die Auswirkungen der Regelungen zum Elterngeld Plus und zum Partnerschaftsbonus sowie zur Elternzeit vorgelegt“.

Der Evaluationsbedarf richtet sich also nicht nach einem festen Turnus. Einen regelmäßigen Turnus für die sehr aufwendige Evaluation aller ehe- und familienpolitischen Maßnahmen festzulegen, erscheint daher nicht notwendig. Sinnvoller ist es, den Evaluationsbedarf konkret festzustellen und konkrete Prüfungsaufträge zu erteilen, die sich auf bestimmte familienpolitische Leistungen, bestimmte Schnittstellen, bestimmte Bürokratiekosten oder Digitalisierungspotenziale konzentrieren.

 

  • Umfang einer zukünftigen Evaluation

Die Frage nach dem Umfang einer zukünftigen Evaluation ehe- und familienpolitischer Leistungen setzt eine Auseinandersetzung mit der Gesamtevaluation von 2014 voraus. Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen auf den Endbericht der Gesamtevaluation vom 2. Juni 2014, dem zwölf Module bzw. Einzelstudien zugrunde liegen. Wenn in dieser Stellungnahme von Gesamtevaluation die Rede ist, ist i.d.R. dieser Endbericht gemeint.

 

  1. Die Gesamtevaluation von 2014
  • Berücksichtigte familienpolitische Ziele

Die Gesamtevaluation untersuchte insbesondere 14 ehe- und familienpolitische Maßnahmen vor allem im Hinblick auf die Erreichung folgender vier Ziele:

  • Wirtschaftliche Stabilität und soziale Teilhabe von Familien (Kapitel 3, S. 98 ff.)
  • Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Kapitel 4, S. 218 ff.)
  • Förderung und Wohlergehen von Kindern (Kapitel 5, S. 278 ff.)
  • Fertilität/Realisierung von Kinderwünschen (Kapitel 6, S. 315 ff.)

Diese Ziele beruhen auf dem Siebten Familienbericht. Zu den im Anschluss an den Bericht von der Bundesregierung formulierten Zielen einer nachhaltigen Familienpolitik gehörte auch der „Nachteilsausgleich zwischen den Familien“. Dieses Ziel wird aber im Endbericht der Gesamtevaluation nicht als eigenständiges und mit den anderen Zielen gleichberechtigtes Ziel untersucht. Ihm ist kein eigenes Kapitel gewidmet.

  • Erhöhung des Arbeitsangebots durch Arbeitsanreize als Prüfungskriterium

Bei der Prüfung der ehe- und familienpolitischen Maßnahmen hinsichtlich der Erreichung der genannten vier Ziele spielt die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Müttern eine maßgebliche Rolle. Dazu tragen teilweise auch die Definitionen der Ziele bei. So wird die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht als Möglichkeit der Eltern verstanden, Familie und Beruf möglichst flexibel – abhängig von der aktuellen Lebenssituation und entsprechend den sich im Lebenslauf verändernden Wünschen – in Einklang zu bringen. Vielmehr werden diejenigen familienpolitischen Leistungen als effektiv im Hinblick auf die Vereinbarkeit bezeichnet, die Arbeitsanreize setzen und zu einer Erhöhung des Arbeitsangebots von Müttern führen. Statt Vereinbarkeit wird also Vereinbarung von Familie und Beruf geprüft. Aufgrund dieses Blickwinkels konstatiert die Gesamtevaluation, dass bei Geldleistungen für Familien generell ein Zielkonflikt „zwischen den Zielen der wirtschaftlichen Stabilität und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ bestehe, da „jede Geldleistung zumindest kurzfristig die wirtschaftliche Notwendigkeit reduziert, eigenes Erwerbseinkommen zu erzielen.“ Nach dieser Logik wäre eine Abschaffung aller Geldleistungen für Familien eine positive familienpolitische Maßnahme zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien und Beruf, weil dann maximale Erwerbsanreize für Mütter gesetzt würden. Vernünftigerweise wird man aber feststellen müssen, dass es der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (verstanden als Möglichkeit, eine Familie zu haben und zugleich im gewünschten Maße berufstätig zu sein) nicht schadet, wenn Eltern aufgrund vergrößerter finanzieller Spielräume die Möglichkeit haben, entsprechend ihren eigenen Wünschen ihre Arbeitszeit zu reduzieren und mehr für ihre Kinder da zu sein.

Zur Bedeutung der Erwerbstätigkeit von Müttern für die anderen drei untersuchten familienpolitischen Ziele führt die Gesamtevaluation aus: „Eine Erwerbstätigkeit von Müttern fördert zugleich die wirtschaftliche Stabilität und das Wohlergehen der Kinder – aufgrund einer stärkeren Nutzung der Kinderbetreuung, wenn Mütter arbeiten und des dadurch geminderten Armutsrisikos der Familie. Zudem wirkt sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf positiv auf die Realisierung von Kinderwünschen aus.“

Es verwundert daher nicht, dass die „positiven Arbeitsangebotseffekte“ und die „Arbeitsanreize“ von familienpolitischen Maßnahmen an vielen Stellen des Endberichts in den Vordergrund gerückt werden. Hierfür einige Beispiele:

„Bei Familien ..., die ohne Kindergeld in den Arbeitslosengeld-II-Bezug fallen würden, wirkt das Kindergeld positiv auf das Arbeitsangebot." (S. 124)

„Am unteren Einkommensrand des Kinderzuschlags steigen für die Familien die Arbeitsanreize, um durch Mehrarbeit in den Genuss des Kinderzuschlags zu kommen. Am oberen Rand hingegen schmälert die „Abbruchkante“ die Arbeitsanreize." (S. 188) „Im Aggregat kommt es zu einem leicht positiven Arbeitsangebotseffekt." (S. 190)

„Beim Ehegattensplitting gehen insgesamt ca. 290.000 Beschäftigte 'verloren', bei der Mitversicherung fast 210.000." (S. 203)

„... war der Effekt der Kindergeldreform auf die Erwerbstätigkeit Alleinerziehender positiv: Die Teilzeittätigkeit stieg signifikant (um zehn Prozentpunkte) und in der Tendenz auch die durchschnittliche Zahl der Arbeitsstunden." (S. 231)

„Durch die subventionierte Betreuung ist die Erwerbstätigenquote von Müttern mit Kindern unter zwölf Jahren nach Berechnungen des DIW um 2,2 Prozentpunkte höher als ohne diese Subventionierung. ... In Summe erhöht sich das Arbeitsangebot der Mütter mit Kindern unter zwölf Jahren um rund 96.000 Vollzeitäquivalente." (S. 242)

„Im Ergebnis hat die beitragsfreie Mitversicherung ... eine deutlich geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern zu Folge. Das Erwerbsvolumen reduziert sich nach Berechnungen des ZEW insgesamt um 100.000 Vollzeitäquivalente bei den Frauen sowie um 51.000 Vollzeitäquivalente bei den Männern." (S. 247)

„In der Summe bewirkt das Elterngeld, dass Elterngeld beziehende Mütter ihr Arbeitsangebot im ersten Lebensjahr ihres Kindes rechnerisch um rund 35.000 Vollzeitäquivalente einschränken." (S. 250)

„Erhalten Familien mehr Geld, können sie ihr bestehendes Konsumniveau mit weniger Erwerbseinkommen aufrechterhalten und haben daher Anreize, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren (Einkommenseffekt)." (S. 355)

„..., dass jede Geldleistung – mehr oder weniger stark – die Erwerbsentscheidungen von Müttern und Vätern beeinflusst, und zwar zunächst einmal negativ. ... Durch Leistungen, deren Höhe mit steigendem eigenem Erwerbseinkommen zunimmt oder die erst ab einem bestimmten Einkommensniveau in Anspruch genommen werden können, haben Familien dagegen tendenziell Anreize dazu, ihre Erwerbstätigkeit auszudehnen. Der negative Einkommenseffekt wird in seiner Wirkung abgeschwächt oder gar überkompensiert." (S. 369)

 

  • Unberücksichtigte familienpolitische Ziele

Im Rahmen der Erstellung der Gesamtevaluation wurde – unter Familienministerin Kristina Schröder –  zwischenzeitlich auch das Ziel der „Wahlfreiheit“ in den Zielkatalog aufgenommen. Im Endbericht ist es nicht mehr enthalten.

Der Familienbund der Katholiken hätte aus Sicht der Familien auch weitere Ziele für wichtig gehalten, die in der Gesamtevaluation nicht untersucht wurden, insbesondere: Zeit für Familie. So hat das ifo-Institut im Rahmen einer für die Gesamtevaluation durchgeführten Studie zum Kindergeld festgestellt, dass die Erhöhung des Kindergeldes im Rahmen der Kindergeldreform von 1996 zwar zu einer Reduzierung der Arbeitszeit von Müttern geführt habe, dass aber zugleich „ein signifikanter Anstieg der Zeitverwendung der Mütter für Kinderbetreuung zu verzeichnen“ gewesen sei. Es ist plausibel, dass die Eltern ihre Arbeitszeit gezielt reduziert haben, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Unter Einbeziehung dieses Aspekts erscheint die in der Gesamtevaluation vorherrschende zwiespältige Bewertung von Geldleistungen für Familien (weil sie angeblich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenwirkten, s.o.), in anderem Licht, weil Geldleistungen sowohl für die wirtschaftliche Stabilität von Familien als auch für gemeinsame Zeit in der Familie sorgen können.

Ein weiteres – aus Sicht des Familienbundes wichtiges – familienpolitisches Ziel wurde ebenfalls nicht untersucht: Gerechtigkeit für Familien. Dies ist das Feld des Familienlasten- und -leistungsausgleichs, dem viele familienpolitische Leistungen zuzuordnen sind. Der Familienlastenausgleich wird im Bericht als Bestandteil einer "traditionellen Familienpolitik“ bezeichnet, dem eine „nachhaltige und wirksame Familienpolitik“ gegenübergestellt wird. Auch der Endbericht der Gesamtevaluation geht jedoch davon aus, dass neue Ziele den traditionell verfolgten Ansatz „ergänzen“, nicht aber ersetzen sollen, was auch der Familienbund für richtig hält. Warum wurde dann das Ziel „Gerechtigkeit für Familien“ in der Gesamtevaluation ausgeblendet?

Nicht nur das Thema Gerechtigkeit für Familien, auch verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, die familienpolitische Reformoptionen maßgeblich beeinflussen, wurden in der Gesamtevaluation weitgehend übergangen. Hierzu führt der Endbericht lapidar aus: „Bei einigen der Leistungen, wie z. B. Kindergeld, Kinderfreibeträge und Ehegattensplitting, gibt es verfassungsrechtliche Vorgaben bezüglich der Gestaltung dieser Regelungen und damit auch Grenzen für eventuelle Modifikationen. Diese verfassungsrechtlichen Restriktionen blieben jedoch bei der Wahl der kontrafaktischen Szenarien unberücksichtigt. Die Bildung der Szenarien, in denen es eine Leistung nicht gäbe, obwohl dieses Szenario verfassungsrechtlich nicht möglich wäre, ist Teil der Evaluationsmethode und stellt insbesondere kein ‚Reformszenario‘ dar.“ Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Erwägungen wäre die Bewertung des Ehegattensplittings und der beitragsfreien Mitversicherung differenzierter ausgefallen.

Das Ehegattensplitting gewährleistet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und den besonderen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verfassungsgemäße und sachgerechte Besteuerung der Ehe. Durch das Ehegattensplitting werden Ehen mit gleichem Gesamteinkommen gleich besteuert. Ohne das Ehegattensplitting würden aufgrund des progressiven Steuertarifs Ehen mit unterschiedlich hohen Einkommen der Ehegatten (darunter fallen nicht nur Alleinverdienerehen!) im Vergleich zu Ehen mit gleich hohen Einkommen der Ehegatten steuerlich benachteiligt.

Die Abschaffung des Ehegattensplittings würde eine starke steuerliche Anreizwirkung zugunsten der Doppelverdienerehe (mit möglichst gleich hohen Einkommen beider Ehegatten) und gegen andere Familienmodelle schaffen. Das läge zwar auf der Linie der Gesamtevaluation, die familienpolitische Maßnahmen entsprechend dem Vorhanden- oder Nicht-Vorhandensein solcher Erwerbsanreize positiv bzw. negativ bewertet (s.o.), widerspräche aber dem Grundgesetz, das den Ehegatten gem. Art. 6 Abs. 1 GG die „Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden“ garantiert. Angesichts der Rechtslage zum Ehegattensplitting hätte die Gesamtevaluation jedenfalls differenziert prüfen müssen, ob die beschriebenen negativen Erwerbsanreize wirklich auf das Ehegattensplitting selbst oder auf die Umsetzung in den Steuerklassen III und V zurückzuführen sind, die unter Beibehaltung des Splittings problemlos reformiert werden könnten. Das ist aber nicht erfolgt.

Auch bei der „beitragsfreien“ Mitversicherung der Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung wären rechtliche Erwägungen hilfreich gewesen. Denn diese Mitversicherung ist nicht beitragsfrei. Tatsächlich ist das gesamte Ehe- bzw. Familieneinkommen Beiträgen unterworfen. Auch auf den Teil des Familieneinkommens, der durch Unterhaltsansprüche den nicht-erwerbstätigen Familienmitgliedern zugeordnet ist (also gleichsam auf das „Einkommen“ der nicht-erwerbstätigen Familienmitglieder), werden Beiträge erhoben. Der Verfassungsrechtler Prof. Kingreen (Universität Regensburg) formuliert daher:  „[Es] ist nochmals darauf hinzuweisen, dass mit dem Bruttoeinkommen der Eltern zugleich der vom Unterhaltsrecht den Kindern und nichterwerbstätige Ehegatten zugewiesene Einkommensanteil verbeitragt wird, so dass bei vollständiger Betrachtung unter Einbeziehung auch des Unterhaltsrechts von Beitragsfreiheit keine Rede sein kann und diese lediglich einen Unterfall des allgemeinen Solidarprinzips der Gesetzlichen Krankenversicherung darstellt.“

Eine (verfassungs-)rechtliche Aspekte stärker einbeziehende Betrachtung hätte auch einem in der Rezeption der Gesamtevaluation aufgetretenen Missverständnis entgegenwirken können: Dem sog. „200-Milliarden-Euro-Märchen“ (Bezeichnung des Familienbundes). Der plakative Mythos, der immer wieder durch die Presse geht, lautet, dass jährlich 200 Milliarden Euro für eine Familienförderung ausgegeben würden, die weitgehend wirkungslos sei und sich auf einen Dschungel von über 150 familienfördernden Leistungen verteile, die keiner kenne. Zur Anzahl der Leistungen führt die Gesamtevaluation an einer oft übersehenen Stelle aus, dass sich die hohe Anzahl der Leistungen aus der Verankerung derselben in unterschiedlichen Gesetzen ergebe, was z.B. dazu führe, dass „das Kindergeld und die Kinderfreibeträge, die als eine einzige Leistung in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sich […] in sechs Leistungen aufgliedert“. Eine verfassungsrechtliche Betrachtung, hätte aufzeigen können, dass es sich nur im Umfang von 39 Milliarden Euro um eine echte Familienförderung handelt, über die der Gesetzgeber frei disponieren kann.

Die Gesamtevaluation enthält viele aufschlussreiche Daten und Ergebnisse, mit denen sich die Familienpolitik auseinandersetzen sollte. Lohnend ist insbesondere auch ein Blick in die Einzelstudien – aufschlussreich ist z.B. die instruktive Schnittstellenanalyse zum Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht. Insgesamt ist aber festzustellen, dass die Gesamtevaluation durch die ausgewählten Ziele, die Zieldefinitionen und die Ergebnisinterpretation eine „arbeitsmarktpolitische Schlagseite“ hat. Teilweise hat man bei der Lektüre des Endberichts den Eindruck, dass die Erhöhung des Erwerbsarbeitsangebots durch Arbeitsanreize als übergeordnetes familienpolitisches Ziel geprüft wird. Dieser Grundansatz der Evaluation determiniert in vielen Fällen das Ergebnis. Und er geht zu Lasten anderer familienpolitischer Ziele, insbesondere des in der Gesamtevaluation nicht berücksichtigten Zieles „Zeit für Familie“. Dabei stellt sich wiederum die Frage, ob das wirklich im Sinne der Familien oder nicht vielmehr im Interesse der Wirtschaft ist. Dass der verfassungsrechtliche Rahmen für familienpolitische Reformen weitgehend ausgeblendet wird, führt zu unrealistischen Vorstellungen über den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und die Höhe der Familienförderung („200-Milliarden-Euro-Märchen“).

Wenn die Gesamtevaluation zu dem Schluss kommt, dass „die zentralen familienpolitischen Ziele mit den untersuchten Leistungen vielfach gut und konfliktfrei erreicht werden“, so liegt das auch daran, dass andere familienpolitische Ziele – Wahlfreiheit, Zeit für Familie, Gerechtigkeit/Verfassungsmäßigkeit – nicht untersucht wurden. Der Familienbund hätte eine Evaluation bevorzugt, die ein größeres Spektrum an Zielen unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen in den Blick nimmt. Dadurch hätte sich ein differenzierteres Bild der familienpolitischen Leistungen und von deren Wirksamkeit ergeben.

 

  1. Antrag der Fraktion der FDP sollte konkretisiert werden

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Familienbund der Katholiken es begrüßen würde, wenn es zu allen im Antrag der FDP-Fraktion aufgeworfenen Fragen wissenschaftlich fundierte Antworten gäbe. Der Antrag ist aber sehr weitgehend. Soweit im Antrag der FDP-Fraktion vorgeschlagen wird, die Evaluation auf alle Leistungen des Bundes und zudem auch auf die ehe- und familienpolitischen Leistungen der Länder und Kommunen zu erweitern, würde der Familienbund eine andere Prioritätensetzung bevorzugen. Statt mehr in die Breite zu gehen, sollten die wesentlichen familienpolitischen Leistungen vertiefter, differenzierter und im Hinblick auf weitere Ziele und Aspekte geprüft werden (vgl. die obige Kritik an der Gesamtevaluation).

Was die von der FDP vorgeschlagene Untersuchung weiterer familienpolitischer Leistungen des Bundes betrifft, führt die Gesamtevaluation plausibel aus: „Zahlreiche, in Bezug auf das Finanzvolumen oder den Bezieherkreis kleinere Leistungen werden in den für die Evaluation verwendeten Datengrundlagen nicht hinreichend abgebildet. Wenn der Bezug der entsprechenden Leistungen nicht erfasst wird oder die Gruppe der Bezieher so klein ist, dass keine verlässlichen Aussagen über eine Grundgesamtheit getroffen werden können, ist die Auswahl der zu untersuchenden Leistungen von Seiten der Datenbasis restringiert.“

Die Untersuchung von ehe- und familienpolitischen Leistungen der Länder und der Kommunen, ist grundsätzlich eine Aufgabe der Länder, die auch den Zugang zu den für die Evaluation notwendigen Daten haben. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Evaluation solcher Leistungen zum Teil noch komplexer als die Untersuchung der familienpolitischen Leistungen es Bundes ist, da die Effektivität und Effizienz der Leistungen auch stark von der konkreten Umsetzung und Inanspruchnahme der jeweiligen Leistung abhängt, die abhängig von Regionen, Milieus, etc. stark variieren kann. Evaluation auf Länderebene setzt daher auch Implementations- und Inanspruchnahmeforschung und entsprechende Datengrundlagen voraus. Eine Enquetekommission in Nordrhein-Westfalen kam Anfang 2017 zu dem Schluss, dass „eine Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen des Landes NRW derzeit nicht machbar“ sei. Machbarkeitsstudien müssten also zunächst klären, in welchem Umfang Evaluationen auf Länderebene möglich sind.

Der Familienbund hält die von der FDP-Fraktion angeregte Untersuchung von Bürokratiekosten und Digitalisierungspotenzialen für sinnvoll. Diese könnten gezielt auf Maßnahmen konzentriert werden, bei denen besonders hohe Verwaltungskosten vermutet werden, was z.B. beim Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) der Fall ist, bei dem im Raum steht, dass ca. ein Drittel der Gesamtkosten Verwaltungskosten sind, die nicht bei den Familien ankommen. Im Übrigen würde der Familienbund auch eine Untersuchung weiterer Schnittstellen begrüßen. Insbesondere bei Alleinerziehenden entstehen durch Rechtsänderungen (z.B. Unterhaltsvorschussreform von 2017, geplantes Starke-Familien-Gesetz) häufig neue Schnittstellen.

 

  • Priorisierung der familienpolitischen Ziele durch die Bundesregierung

Der Deutsche Bundestag sollte die Bundesregierung nicht auffordern, eine Priorisierung familienpolitischer Ziele vorzunehmen, um diese Priorisierung in einer künftigen Evaluation zu berücksichtigen. Eine Evaluation sollte im Hinblick auf eine Reihe wichtiger familienpolitischer Ziele transparent machen, ob die ehe- und familienpolitischen Leistungen diese Ziele erreichen oder nicht. Die – oft schwierige – Abwägung, welche familienpolitischen Ziele jeweils im Vordergrund stehen sollten, ob also eine Leistung im Ergebnis gut oder schlecht ist, ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine Frage des politischen Prozesses. Diese Diskussion muss in den Parteien, der Gesellschaft und der politischen Öffentlichkeit erfolgen. Eine gute Evaluation ermöglicht eine rationale, wissenschaftlich fundierte Debatte über die Reform der ehe- und familienpolitischen Maßnahmen. Sie ersetzt diese Debatte aber nicht und liefert keine fertigen Ergebnisse. So führt der Abschlussbericht der „Enquetekommission zur Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“ zu Recht aus: „Die technokratische Vorstellung, dass Wirkungsforschung zu einer einzigen wissenschaftlich unbestreitbaren Evidenz führt und damit den Bedarf an einer politisch-demokratischen Debatte reduziert, ist irreführend.“

Im Hinblick auf den weitreichenden Antrag der FDP-Fraktion sind die Fristen, die sich – aus Abgeordnetensicht verständlicherweise – am verbleibenden Zeitraum der aktuellen Legislaturperiode orientieren, offensichtlich zu kurz. Wenn der Bundestag jedoch entsprechend dem Vorschlag in dieser Stellungnahme konkretisierte Prüfungsaufträge erteilt, ist eine Einhaltung der Fristen gegebenenfalls möglich.

 

Berlin, 11. Januar 2019

Familienbund der Katholiken
Ansprechpartner: Matthias Dantlgraber

 

Für den genauen Wortlaut des Antrags wird auf BT-Drucksache 19/3174 verwiesen.

Zählung nach den Überschriften des Kapitels Nr. 2 der Gesamtevaluation, „Die untersuchten ehe- und familienbezogenen Leistungen: Ausgestaltung, Inanspruchnahme und Bewertung“, S. 48 ff.

Die Gesamtevaluation geht für das Jahr 2010 von 148 familienbezogenen und acht ehebezogenen Maßnahmen aus, vgl. Gesamtevaluation, S. 3.

Vgl. Gesamtevaluation, S. 395 ff.

Wortlaut des Antrags: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, […] eine Priorisierung der familienpolitischen Ziele vorzunehmen, um Zielbeziehungen und potenzielle Konflikte zwischen den Zielen der ehe- und familienpolitischen Leistungen bei der regelmäßigen Evaluation zu berücksichtigen.“

BT-Drucksache 19/400, vgl. https://www.bmfsfj.de/blob/121264/6bfce747d8a948b19ddbeb73e4bfdaef/bericht-elterngeldplus-data.pdf. Grundlage des Berichts sind die Quartalsstatistiken zum Elterngeld des Statistischen Bundesamts vom 3. Quartal 2015 bis einschließlich des 3. Quartal 2017 sowie die Ergebnisse einer Befragung von Bezieherinnen und Beziehern des Elterngeld Plus durch das Institut für Demoskopie Allensbach.

Prognos, Endbericht, Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, https://www.bmfsfj.de/blob/93954/25490622c47497e47acbcfa797748cfb/gesamtevaluation-der-ehe-und-familienbezogenen-massnahmen-und-leistungen-data.pdf.

Vgl. zur Bewertung des Familienbundes: Loos, Nur mit den richtigen Zielen kann es gute Ergebnisse geben – Anmerkungen zum Abschlussbericht der Gesamtevaluation, Stimme der Familie, 04/2014, S. 14 ff.

Zählung nach den Überschriften des Kapitels Nr. 2 der Gesamtevaluation, „Die untersuchten ehe- und familienbezogenen Leistungen: Ausgestaltung, Inanspruchnahme und Bewertung“, S. 48 ff.

Das Evaluationskonzept ist im Endbericht der Gesamtevaluation ausführlich dargelegt. Auf diese Darstellung wird zur Vertiefung verwiesen.

Siebter Familienbericht, Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine

lebenslaufbezogene Familienpolitik, https://www.bmfsfj.de/blob/76276/40b5b103e693dacd4c014648d906aa99/7--familienbericht-data.pdf.

Vgl. Gesamtevaluation, S. 13.

Für ein solches Verständnis würde eigentlich der Wortlaut von Vereinbarkeit sprechen: Die Nachsilbe „-bar“ in „vereinbar“ drückt sprachlich eine Möglichkeit aus.

Gesamtevaluation, S. 369, 388.

Gesamtevaluation, S. 379.

Beispiele zitiert nach Loos, Nur mit den richtigen Zielen kann es gute Ergebnisse geben – Anmerkungen zum Abschlussbericht der Gesamtevaluation, Stimme der Familie, 04/2014, S. 14 ff.

Vgl. Zwischenpräsentation von BMF und BMFSFJ vom 30. Juni 2013, https://archiv.bundesregierung.de/archiv-de/familienpolitik-auf-dem-richtigen-weg-431774.

ifo-Institut, Kindergeld – im Auftrag der Geschäftsstelle Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen

Leistungen in Deutschland, ifo Forschungsberichte Nr. 60, S. 127 (erschienen im März 2012).

Gesamtevaluation, S. 1.

Gesamtevaluation, S. 1.

Insgesamt werden rechtliche Fragen in der Gesamtevaluation nur am Rande behandelt. Eine positive Ausnahme ist die wertvolle Schnittstellenanalyse: Ott/Schürmann/Werding, Schnittstellen im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht (2012).

Hierzu ausführlich: Ehegattensplitting, Fachinformation des Familienbundes der Katholiken vom 04.10.2012.

Vgl. u.a. BVerfGE 61, 319, 345 ff.

So auch Schmidt, Ehegattensplitting: Ungerecht und kinderfeindlich?, ZRP 05/2017, S. 134 ff.

Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. z.B. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. April 2011 - 1 BvR 1811/08 - Rn. 9, http://www.bverfg.de/e/rk20110420_1bvr181108.html.

Kingreen, Verfassungsbeschwerde vom 24. März 2016, S. 64, https://elternklagen.de/wp-content/uploads/2016/03/Verfassungsbeschwerde_2016_BVerfG.pdf.

Gesamtevaluation, S. 4.

Berechnung des Familienbundes der Katholiken. Das BMFSFJ ging 2007 von 46 Milliarden Euro „reine Familienförderung“ aus, 2013 von rund 55 Milliarden, vgl. https://www.focus.de/finanzen/steuern/tid-31982/familienministerin-schroeder-in-erklaerungsnot-ueber-200-milliarden-familienfoerderung-fuer-nichts-_aid_1022351.html (zugleich ein Beispiel für das 200-Milliarden-Euro-Märchen).

Ott/Schürmann/Werding, Schnittstellen im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht (2012).

Gesamtevaluation, S. 389.

Gesamtevaluation, S. 13.

Vgl. Abschlussbericht der Enquetekommission zur „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“, Landtag-NRW-Drucksache 16/14000 vom 16.01.2017, S. 164.

Vgl. z.B. den taz-Artikel „Bildungspaket wird wenig genutzt“, http://www.taz.de/!5530021/.

Abschlussbericht der Enquetekommission zur „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“, Landtag-NRW-Drucksache 16/14000 vom 16.01.2017, S. 165.