Das Kindergeld

 

Das Kindergeld ist das Herzstück des Familienlastenausgleichs in Deutschland.2 Es wird für über 14 Millionen Kinder ausgezahlt. Das Kindergeld beträgt seit dem Jahr 2010 für erste und zweite Kinder 184 Euro, für das dritte Kind 190 Euro und für jedes weitere Kind 215 Euro monatlich. Kindergeld gibt es grundsätzlich für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr, für Kinder in Ausbildung bis zum 25. Lebensjahr und für arbeitslose Kinder bis zum 21. Lebensjahr. Es erfolgt eine Anrechnung auf Grundsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII. Das Gesamtvolumen des Kindergeldes für das Jahr 2013 wird auf 37,9 Mrd. Euro beziffert.3

Angesichts dieser nicht unerheblichen Aufwendungen wird das Kindergeld von Politik, Wissenschaft und Medien regelmäßig auf den Prüfstand gestellt. Im Rahmen der so genannten Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen ist im April 2013 eine umfangreiche Studie des ifo-Instituts zum Kindergeld erschienen.4 In Medienberichten heißt es, die Experten würden „vor einem höheren Kindergeld warnen“. Das Kindergeld bringe für Familien nur wenig Vorteile und sei „für den Staat doppelt teuer“.5 Parallel gibt es im politischen Raum verschiedene Überlegungen, den Familienlastenausgleich weiterzuentwickeln. Über eine Umgestaltung des Kindergeldes und die Einführung einer Kindergrundsicherung wird ebenso nachgedacht wie über die Schaffung eines Familiensplittings.

Mit der vorliegenden Fachinformation ruft der Familienbund der Katholiken die Systematik und Funktionsweise des Kindergeldes in Erinnerung. Hintergründe und Ergebnisse der ifo- Studie werden erläutert sowie weitere für das Kindergeld relevante Forschungsberichte ausgewertet. Unter Einbeziehung der aktuell in der Politik diskutierten Reformvorschläge beantworten wir schließlich die Frage, welchem Ansatz einer Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs aus Familiensicht der Vorzug zu geben ist.

1.) Welche Funktionen erfüllt das Kindergeld?

Das Kindergeld wurde 1996 in das Einkommensteuerrecht eingegliedert. Seit dieser Zeit dient das Kindergeld vorrangig der Steuerfreistellung des Kinderexistenzminimums. Der überwiegende Teil des Kindergeldes ist mithin keine Familienförderung.

Die mindestnotwendigen Kosten für Kinder müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Lohn- und Einkommensteuer frei gestellt werden, denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist in dieser Höhe eingeschränkt.6 Da bei der Berechnung der monatlichen Lohnsteuer grundsätzlich kein Kinderfreibetrag berücksichtigt wird, zahlen Eltern von ihrem Erwerbseinkommen auch auf die Mindestkinderkosten zunächst in vollem Umfang Steuern. Das Kindergeld dient dann als Rückerstattung der zu viel erhobenen Lohnsteuer. Der Staat gibt insoweit lediglich das zurück, was er sich nicht hätte nehmen dürfen.

Nur der in unteren und mittleren Einkommensbereichen über die Wirkung der Steuerfreistellung hinausgehende Teil des Kindergeldes ist Familienförderung. Die Förderleistung dient der teilweisen Deckung der Kosten, die Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder aufwenden. Im Jahr 2013 entfallen von der Gesamtsumme des Kindergeldes in Höhe von 37,9 Mrd. Euro lediglich 17,8 Mrd. Euro auf die Familienförderung, also nicht einmal die Hälfte.7

 

Beispiel:

 

Eine Familie mit einem Kind und 3.000 Euro monatlichem Bruttoeinkommen zahlt zunächst 231 Euro Lohnsteuer.8 Das sind 125 Euro zu viel, weil auf das eigentlich steuerfreie Existenzminimum des Kindes ebenfalls Lohnsteuer erhoben wird. Von dem gezahlten Kindergeld in Höhe von 184 Euro entfallen also 125 Euro auf die Rückzahlung zu viel erhobener Steuern, lediglich 59 Euro von der Gesamtsumme des Kindergeldes dienen der Förderung.

Kindergeld vermindert durch Anrechnung den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII. Damit übernimmt es in diesen Fällen faktisch auch eine existenzsichernde Funktion. Existenzsichernde Leistungen gehören ebenfalls nicht zur Familienförderung, da der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet ist, allen Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Aus der Sicht einer 2012 veröffentlichten Studie, die ebenfalls im Rahmen der Gesamtevaluation erstellt worden ist, erweist sich der tatsächliche Förderanteil des Kindergeldes somit deutlich geringer als 17,8 Mrd. Euro und „gegenüber den beiden anderen Funktionen [Steuererstattung, Existenzsicherung] als von untergeordneter Bedeutung“.9

 

 

2.) Welche Erkenntnisse liefert die ifo-Kindergeldstudie?

 

Die ifo-Kindergeldstudie stellt ein Modul in der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen dar.

Hintergrund Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen:

Die Gesamtevaluation wird von Bundesfamilienministerium und Bundesfinanzministerium gemeinsam getragen. In der seit 2009 in elf Modulen durchgeführten Untersuchung werden familienpolitische Maßnahmen – wie das Kindergeld – analysiert mit dem Ziel, politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Überprüft werden insbesondere ökonomische Wirksamkeit und Effizienz. Neben der Begutachtung einzelner Instrumente werden auch allgemeine Fragestellungen wie das Zusammenwirken der verschiedenen Maßnahmen sowie die Wünsche von Familien an die Familienpolitik untersucht. In vielen Modulen dominiert eine ökonomische Sichtweise.10

Auch die ifo-Kindergeldstudie ist ökonomisch ausgerichtet. Anhand der Kindergeldreform 1996 werden die Wirkungen von Kindergelderhöhungen untersucht.

 

Hintergrund Kindergeldreform 1996:

 

Bei dieser  Reform wurden  sowohl das Kindergeld  als auch die  steuerlichen Kinderfreibeträge nominal deutlich erhöht. Zugleich gab es aber den Übergang zum Optionsmodell, nach dem das Kindergeld vorrangig der Steuerfreistellung dient und nur soweit eine Familienförderung darstellt, wie es darüber hinaus reicht. Im dualen System vorher erhielten die meisten Eltern das Kindergeld in vollem Umfang zusätzlich zur Steuerfreistellung. Bei der Reform 1996 gab es entsprechend Gewinner und Verlierer.11


Das ifo-Institut kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Eine Anhebung des Kindergeldes schlägt sich am Arbeitsmarkt in einer Verringerung des Erwerbsumfangs von Müttern nieder. Mütter mit Partnern verringern ihre Vollzeittätigkeit zugunsten einer Teilzeittätigkeit. Die Erwerbsquoten bleiben dagegen weitgehend stabil. Die „negative Arbeitsmarktreaktion“ ist vor allem bei Müttern mit zwei oder mehr Kindern zu finden.12

     

  • Das reduzierte Arbeitsangebot von Müttern spiegelt sich in einem niedrigeren monatlichen Erwerbseinkommen wider. Es soll Hinweise geben, dass das Erwerbseinkommen stärker reduziert wurde als das Haushaltseinkommen durch die Steigerung des Kindergeldes zunahm. Allerdings sei dieser Effekt wenig eindeutig. Jedenfalls bleibe die Erhöhung des Kindergeldes im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation von Familien „weitgehend wirkungslos“.13 Bei Familien mit mindestens zwei Kindern hat die Reform allerdings zu einer positiven Zunahme der Zufriedenheit mit dem Lebensstandard geführt.14

  • Der Entscheidungsspielraum von Familien wurde durch die Erhöhung des Kindergeldes erweitert. Familien werden zusätzliche Freiräume verschafft, die es ermöglichen, mehr auf eigene Präferenzen zu achten. „Der Nutzen dieser zusätzlichen Wahlfreiheit lässt sich leider monetär nicht messen“.15 Bemerkenswert sei, dass „ein signifikanter Anstieg der Zeitverwendung der Mütter für Kinderbetreuung zu verzeichnen ist.“16

     

  • Das erhöhte  Kindergeld hat die  Geburtenrate möglicherweise  positiv beeinflusst, auch wenn die Resultate diesbezüglich vorsichtig zu interpretieren sind. Im optimistischen Falle würde die Kindergeldreform des Jahres 1996 bezogen auf das Jahr 2010 eine Erhöhung der Geburtenrate von 1,39 auf 1,48 bewirken.17

     

  • Dadurch, dass Mütter bei einer Kindergelderhöhung weniger arbeiten, entgehen dem Staat Steuereinnahmen sowie Einnahmen der Sozialversicherungen. Die Studie räumt ein, dass sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte nur schwer abschätzen lassen und es eine große Spannbreite an möglichen Ergebnissen gibt.18 Der Mittelwert besage, dass eine Erhöhung des Kindergeldes um 1 Euro Kosten von insgesamt 2 Euro für den Staat verursacht.19

 

3.) Wie sind die Ergebnisse der Kindergeldstudie familienpolitisch zu bewerten?

 

Für die Verfechter einer ausschließlich an Kosten-Nutzen-Analysen orientierten Familienpolitik mag das Kindergeld möglicherweise nicht die gewünschten vordergründigen arbeitsmarkt-, bevölkerungs- oder  haushaltspolitischen Effekte  hervorrufen. Werden die Befunde der Studie mit einer „familienpolitischen Brille“ gelesen, ergibt sich jedoch ein schlüssiges Gesamtbild, das die Bedeutung des Kindergeldes unterstreicht. Unter Familienpolitik ist dabei ein Ansatz zu verstehen, der aus Familiensicht versucht, Rahmen- bedingungen für die Umsetzung der gewünschten familiären Lebensentwürfe zu schaffen.

Eltern haben die Kindergelderhöhung von 1996 offensichtlich genutzt, mehr Zeit für die eigene Betreuung ihrer Kinder zu realisieren. Sie haben Zeit für Familie „gekauft“. Dass Mütter infolge der Umsetzung von Teilzeitwünschen dem Arbeitsmarkt in einer geringeren Intensität zur Verfügung stehen, ist Ausdruck der persönlichen Ausübung elterlicher Wahlfreiheit.

Teilzeitbeschäftigung „entspricht in der Regel den Wünschen der Mütter“, so das Ergebnis einer weiteren Studie der Gesamtevaluation, veröffentlicht im März 2013.20

Die „Akzeptanzanalyse II“, durchgeführt vom Institut für Demoskopie Allensbach, hat nach den Wünschen und Bedürfnissen von Familien gefragt. Eine Mehrheit von 61 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern präferiert eine Teilzeitberufstätigkeit. In Westdeutschland sind es 63 Prozent.21 Mütter erklären ihre Teilzeitbeschäftigung überwiegend damit, dass sie sich bei mehr Arbeitsstunden nicht mehr so eingehend um ihre Kinder kümmern könnten.22

Den Stellenwert ausreichender Zeit für „dyadisch-didaktische Mutter-Kind-Aktivitäten“ arbeitet die im April 2013 – ebenfalls im Rahmen der Gesamtevaluation – erschienene Studie „Wohlergehen von Kindern“ der Ruhr-Universität Bochum heraus. Kinder in den Familien, in denen die Mutter täglich vorliest, vorsingt oder mit den Kindern malt oder bastelt, weisen danach – sogar unabhängig von der jeweiligen ökonomischen Situation – das höchste Wohlergehensniveau“ auf.23

Die Wunscharbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Mütter liegt laut Allensbach-Analyse im Durchschnitt bei 27 Arbeitsstunden/Woche.24 19 Prozent aller Mütter wünschen gar keine Berufstätigkeit, 18 Prozent dagegen eine Vollerwerbstätigkeit. Von den Vätern wünschen sich 21 Prozent eine Teilzeitberufstätigkeit, 6 Prozent gar keine Berufstätigkeit und 71 Prozent eine Vollerwerbstätigkeit.25

Einmal mehr wird deutlich, dass ein Leitbild doppelter Vollerwerbstätigkeit an den Bedürfnissen von Familien vorbeigeht. Die Versuche, eine ausschließlich erwerbsarbeitsmarktzentrierte Familienpolitik zu etablieren, müssen als verfehlt und gescheitert betrachtet werden. Den ausdifferenzierten Präferenzen von Familien wird nur ein Leitbild der Optionenvielfalt und Wahlfreiheit gerecht.

Diese Erkenntnis korreliert mit der im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 veröffentlichten Forsa-Studie „Familie und Wahl“. Danach fordern 74 Prozent der Eltern, der Staat solle dafür sorgen, Familien die Möglichkeit zu geben, das Betreuungsmodell für ihre Kinder zu wählen, das am besten zu ihren eigenen Bedürfnissen passt.26 Unter den 18- bis 34-Jährigen lag die Zustimmung zu dieser Forderung sogar bei 85 Prozent.

Die ifo-Kindergeldstudie und die weiteren erwähnten Studien verdeutlichen die Notwendigkeit, monetäre Instrumente wie das Kindergeld und eine Familienzeitpolitik im Zusammenhang zu sehen. Der Achte Familienbericht hat im Jahr 2012 zwar festgestellt, dass 40 Prozent der Väter und 42 Prozent der Mütter unter Zeitdruck leiden.27 Er hat es aber versäumt, über Fragen der Arbeitsorganisation hinaus auch die finanzielle Seite der Zeitpolitik systematisch zu bearbeiten.28 Nur wenn Familien eine angemessene finanzielle Unterstützung erhalten, sind sie in der Lage, Familienzeiten nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Anders ausgedrückt: Fehlende finanzielle Ressourcen zwingen Familien zu Zeitarrangements, die sie eigentlich nicht wollen.

Die ifo-Studie, „durch die familienpolitische Brille“ betrachtet, führt den Nachweis einer Wirksamkeit des Kindergeldes. Das Kindergeld vergrößert den finanziellen Gestaltungsspielraum für Familien. Die Ergebnisse zeigen, dass der größere Spielraum im Sinne einer Umsetzung familiärer Zeitbedürfnisse genutzt wird. Die angebliche Wirkungslosigkeit der Kindergelderhöhung 1996 auf die wirtschaftliche Situation von Familien ist daher unzutreffend. Vielmehr wurde eine verbesserte wirtschaftliche Situation genutzt, mehr Zeit für Familie zu ermöglichen. Dass eine Verbesserung des Haushaltseinkommens darüber hinaus nicht messbar war, spricht nicht gegen die Kindergelderhöhung, sondern belegt, dass sie unzureichend war.

Wie sehr sich die offiziellen Schlussfolgerungen der ifo-Studie von der Lebenswirklichkeit von Familien entfernen, zeigt sich im Vergleich mit einer weiteren Allensbach-Untersuchung der Gesamtevaluation aus dem Jahr 2012. In der „Akzeptanzanalyse I“ haben 90 Prozent aller Eltern mit Kindern unter 25 Jahren das Kindergeld als besonders wichtig für die Familie bewertet. Damit hält das Kindergeld eine Spitzenposition im Ranking der Leistungen.29 Bereits im Jahr 2008 haben 87 Prozent der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren das Kindergeld als die mit Abstand wirksamste Familienleistung bewertet, so eine weitere Allensbach- Studie.30

Würde sich unser Land zu einer Familienpolitik bekennen, die tatsächlich die Interessen von Eltern und Kindern vertritt, würde eine familienbedingte Arbeitszeitreduzierung nicht mehr als „negative Arbeitsmarktreaktion“ mit „Mindereinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben“ verbucht. Dann käme in den Blick, dass Familien mit der Erziehung ihrer Kinder überhaupt erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass es künftige Steuer- und Beitragszahler/innen gibt, die unserem Gemeinwesen eine Zukunft verschaffen.

Die ifo-Studie zeigt überdies die Grenzen für die Bestimmung gesamtwirtschaftlicher und demografischer Effekte einzelner familienpolitischer Instrumente. Sie verdeutlicht damit ein Dilemma der Gesamtevaluation, soweit sie diese Perspektive verfolgt. Die Spannbreite möglicher Ergebnisse ist so groß, dass die gebildeten Mittelwerte kaum Aussagekraft besitzen und sich für politische Ableitungen erst recht nicht eignen. Schließlich bleibt jede ökonomische Analyse unvollständig, die die Leistungen der Familien für die Gesellschaft nicht mitberücksichtigt.

 

4.) Welche Verbesserungen sind beim Kindergeld notwendig?

 

Der Familienbund hält eine Anhebung des Kindergeldes auf 300 Euro pro Monat für notwendig. Bereits im Jahr 2006 lagen die durchschnittlichen Ausgaben von Eltern für ein Kind bei monatlich 576 Euro.31 Durch die Inflation ist dieser Betrag mittlerweile bedeutend höher. Ein Kindergeld in Höhe von 300 Euro würde weniger als die Hälfte der tatsächlichen Kinderkosten decken helfen. Heute deckt das Kindergeld im Durchschnitt weniger als ein Drittel der Haushaltsausgaben für Kinder.32 Mit einer Anhebung des Kindergeldes auf 300 Euro würde ein wichtiger Schritt hin zu einem angemessenen Ausgleich der elterlichen Unterhaltsverpflichtungen erfolgen.

Dabei ist zu bedenken, dass aufgrund der Steuervergütungsfunktion des Kindergeldes der eigentliche Förderbetrag für die meisten Familien immer noch erheblich unter 300 Euro läge. Soweit das Kindergeld lediglich der Rückerstattung zu viel erhobener Lohnsteuern dient, kommen Eltern „aus eigener Tasche“ für die Kinderkosten auf.

Die Rückerstattung zu viel erhobener Lohnsteuern ist verfassungsrechtlich fest vorgegeben. Eine Erhöhung des Kindergeldes wirkt sich damit am stärksten dort aus, wo das Kindergeld als Förderleistung gewährt wird. Eine Kindergelderhöhung hat mithin in den mittleren und vor allem in den unteren Einkommensgruppen die stärksten Effekte. Nicht umsonst wird dem Kindergeld eine signifikant armutsreduzierende Wirkung zugesprochen. Ohne Kindergeld wären zusätzlich rund 1,7 Millionen Kinder arm oder armutsgefährdet.33

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Studie „Wohlergehen von Kindern“ der Gesamtevaluation hinzuweisen, nach der sich insbesondere im Bereich niedriger Einkommen eine Verbesserung der materiellen Situation von Familien positiv auf das kindliche Wohlergehen auswirkt.34 Für Familien in prekären Lagen bedarf es neben einem höheren Kindergeld einer zusätzlichen Unterstützung auf der Basis eines ausgebauten Kinderzuschlags.35

 

Eine Anhebung des Kindergeldes auf 300 Euro beseitigt den Unterschied zwischen der Höhe des Kindergeldes und der maximalen Wirkung der steuerlichen Kinderfreibeträge, der vielfach als ungerecht empfunden wird. Der Familienbund tritt auf der Grundlage einer realitätsgerechten Bemessung des Kinderexistenzminimums für eine Erhöhung der Freibeträge für Kinder auf 8.000 Euro pro Jahr ein. Ein Kindergeld in Höhe von 300 Euro pro Monat entspricht in etwa der maximalen Wirkung dieser Freibeträge. Dem Wunsch nach einer finanziellen Gleichbehandlung aller Kinder in der Zusammenschau von Kindergeld und Kinderfreibetrag wäre Rechnung getragen, ohne verfassungsrechtliche Vorgaben zur Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen.36

 

Der Neunte Existenzminimumbericht konstatiert für das Jahr 2014 die Notwendigkeit einer Erhöhung des Kinderfreibetrages.37 Spätestens dann ist auch das Kindergeld anzuheben. Ansonsten würde der Anteil am Kindergeld, der eine echte Förderung von Familien darstellt, weiter abnehmen. Der Deutsche Bundestag hat in einer Entschließung in zutreffender Weise festgestellt, dass das Kindergeld entsprechend zu erhöhen ist, wenn der Kinderfreibetrag steigt.38 Die ab 2014 notwendige Erhöhung des Kindergeldes sollte für substantielle Schritte hin zu einer deutlichen Verbesserung der Leistung genutzt werden.

 

5.) Wie sind aktuelle Reformvorschläge der Politik zu bewerten?

 

„Sozial gestaffeltes Kindergeld“ (SPD)

Die SPD möchte laut ihrem Regierungsprogramm 2013 den „Familienleistungsausgleich vom Kopf auf die Füße stellen“. Familien mit kleineren Einkommen sollen durch ein einkommensabhängiges Kindergeld, in das der bisherige Kinderzuschlag integriert werden soll, stärker gefördert werden „und nicht mehr die mit den höchsten Einkommen“. Familien mit zwei Kindern und einem Einkommen von unter 3.000 Euro pro Monat sollen künftig ein um bis zu 140 Euro pro Kind und Monat erhöhtes Kindergeld erhalten. Alle anderen Familien erhalten das bisherige Kindergeld. Der über das Kindergeld „hinausgehende bisherige Steuervorteil für Familien mit hohen Einkommen entfällt“.39

Der Umverteilungsansatz der SPD übersieht von vornherein, dass Familien mit hohen Einkommen weder eine Förderung noch einen Steuervorteil mit dem Kindergeld erhalten. Das Kindergeld dient bei ihnen ausschließlich der Rückerstattung ansonsten in verfassungswidriger Weise zu viel erhobener Lohnsteuern. Verkannt werden die unterschiedlichen Funktionen des Kindergeldes, denen jeweils Rechnung zu tragen ist. Soziale Verteilungsgerechtigkeit kann nicht durch einen Abbau horizontaler Steuergerechtigkeit erkauft werden. Die Umsetzung des SPD-Modells ist mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – geschützt durch den Gleichheitssatz unserer Verfassung – nicht zu vereinbaren.

Zudem würde die Streichung des angeblichen „Steuervorteils“ nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft und des Meinungsforschungsinstituts Forsa 28,9 Prozent aller Eltern belasten. Nicht nur Spitzenverdiener, sondern auch viele Familien aus der Mittelschicht wären betroffen. Sie müssten durchschnittlich mit Mehrkosten in Höhe von 45 Euro pro Monat rechnen.40

 

Kindergrundsicherung (Bündnis 90/Die Grünen)

 

In ihrem Bundestagswahlprogramm sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen dafür aus, „jedes Kind, unabhängig vom Einkommen seiner Familie, soll die gleiche finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten.“ Dafür will die Partei „das Ehegattensplitting … schrittweise abbauen und damit auch eine Kindergrundsicherung aufbauen.“ Kinderregelsätze, Kinderzuschläge und die steuerlichen Kinderfreibeträge sollen obsolet werden.41 Nicht direkt im Wahlprogramm, aber an anderer Stelle, wird ein Betrag in Höhe von 300 Euro pro Monat genannt. Das Kindergeld soll in der Kindergrundsicherung aufgehen.42

Unabhängig von Begrifflichkeiten lässt der Betrag von monatlich 300 Euro gewisse Ähnlichkeiten mit dem Modell des Familienbundes auf der Leistungsseite erkennen. Allerdings ist es aus Sicht des Familienbundes notwendig, geringverdienenden Familien und Familien im SGB II – Bezug zusätzliche Unterstützung zu gewähren, da 300 Euro nicht ausreichend für die Sicherung des kindlichen Existenzminimums sind. Insofern erscheint die Aussage problematisch, Maßnahmen wie Kinderregelsätze und Kinderzuschläge seien dann „obsolet“. Eine Einheitsleistung kann Leistungen für besondere Bedarfslagen nicht ersetzen.

 

Auf der Finanzierungsseite verknüpft das Modell den Aufbau der Kindergrundsicherung mit dem Abbau des Ehegattensplittings. Dabei wird verkannt, dass das Ehegattensplitting als steuerrechtliches Instrument nur sicherstellt, dass Ehepaare mit gleichen Gesamteinkommen gleich besteuert werden. Lediglich dem verfassungsrechtlichen Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit wird mit dem Ehegattensplitting Rechnung getragen. Eine beliebig veränderbare Fördermaßnahme liegt nicht vor. Überdies würde ein Abbau des Ehegattensplittings in erster Linie Familien treffen. 90 Prozent des gesamten Splittingvolumens entfällt auf Ehepaare, die Kinder erziehen oder erzogen haben.43 Der Familienbund lehnt den Vorschlag daher ab.

 

 

Familiensplitting  (CDU/CSU)

In der Union wird dagegen mit zunehmender Intensität über die Einführung eines Familiensplittings nachgedacht. Der Begriff des Familiensplittings ist dabei schillernd und unbestimmt. Konkrete Modelle wurden noch nicht vorgelegt. Wie sich ein Familiensplitting zu einem Kindergeld verhalten soll, das bereits eine primär steuerrechtliche Funktion hat, ist bislang ungeklärt. Ein Familien(voll)splitting könnte „abstrakt zu jährlichen steuerlichen Entlastungen [von Familien] von rund 32 Mrd. Euro führen.“44

Der Familienbund unterstützt Bemühungen, die zur Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Familien beitragen. Dabei sind jedoch Maßnahmen anzustreben, die Aspekte der Bedarfsgerechtigkeit mitberücksichtigen. Ein Familientarifsplitting entfaltet seine Entlastungswirkung nur bei hohen und mittleren Einkommen, bei unteren Einkommen wirkt es nicht. Direkte Transferleistungen sind einem Familiensplitting daher vorzuziehen.

Mit einem einheitlichen Kindergeld in Höhe von monatlich 300 Euro würden eine bedarfsgerechte Entlastung der Familien erreicht, die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern gesichert und eine Entlastung bewirkt, die für Familien – abgesehen von Höchsteinkommen – besser ist als die Entlastung durch ein Familientarifsplitting.45

 

 

6.) Zusammenfassung

 

  • Das Kindergeld ist für Familien das wichtigste und wirksamste und deshalb am meisten akzeptierte Instrument des Familienlastenausgleichs. Neben der verfassungsrechtlich gebotenen Rückerstattung zu viel gezahlter Steuern dient es als Förderleistung dazu, die Kosten der Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder teilweise auszugleichen. Das Kindergeld ist ein unverzichtbarer Baustein für die Sicherung der wirtschaftlichen Basis von Familien. Es leistet auch einen Beitrag dafür, dass Eltern ihre Wünsche nach mehr Zeit für Familie umsetzen können.

     

  • Notwendig ist eine Erhöhung des Kindergeldes auf 300 Euro pro Monat. Eine finanzielle Gleichbehandlung aller Kinder in der Zusammenschau von Kindergeld und Kinderfreibetrag wäre realisiert, ohne verfassungsrechtliche Vorgaben zur Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen. Eine einheitliche Erhöhung des Kindergeldes auf 300 Euro ist anderen Vorschlägen aus der Politik vorzuziehen. Sie sind entweder mit steuerrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar (SPD: sozial gestaffeltes Kindergeld, Grüne: Kindergrundsicherung) oder führen zu unangemessenen Verteilungswirkungen (CDU/CSU: Familiensplitting).

     

  • Familienpolitik und Familienforschung sollten konsequent die Perspektive von Familien einnehmen. Anstatt wenig aussagekräftige Kosten-Nutzen-Analysen mit einseitig arbeitsmarkt-, bevölkerungs- und fiskalpolitischen Zielsetzungen in Auftrag zu geben, sollte die finanzielle Seite der Familienzeitpolitik endlich systematisch bearbeitet werden. Der Achte Familienbericht hat insoweit eine Lücke hinterlassen, die es zu schließen gilt. Erfolgen ökonomische Analysen, müssen die Leistungen der Familien für die Gesellschaft unbedingt mitberücksichtigt werden.

 

 

 

Berlin, 14. Mai 2013

 

 

 

Fußnoten:
1 Zuständiger Referent in der Bundesgeschäftsstelle des Familienbundes: Markus Faßhauer
2 Unter Familienlastenausgleich sind die Instrumente der Familienbesteuerung und der Familientransfers zu verstehen, die wirtschaftliche Belastungen von Eltern durch die Geburt und das Erziehen von Kindern ausgleichen sollen.
3 BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Ausgabe 2012, Tab. 2.8.1.
4 Vgl. Pressemitteilung des Familienbundes vom 30.04.2013 „Familienbund widerspricht ifo-Studie“
5 Vgl. Handelsblatt vom 29.04.2013, WirtschaftsWoche vom 30.04.2013
6 Vgl. BVerfG 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86 vom 29.05.1990
7 BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Ausgabe 2012, Tab. 2.8.1
8 Unterstellt wird die Lohnsteuerklassenwahl III/V
9  Ott / Schürmann / Werding, Schnittstellen im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht, 2012, S. 133
10 Vgl. Fachinformation des Familienbundes „Familienpolitische Leistungen in Deutschland“ vom 07.02.2013
11 Vgl. ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 16 ff.
12 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 91
13 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 161
14 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 132
15 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 148
16 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 127
17 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 142
18 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 154
19 ifo-Institut, Kindergeld, 2013, S. 158
20 Allensbach, Akzeptanzanalyse II, 2013, S. 36
21 Allensbach, Akzeptanzanalyse II, 2013, S. 36
22 Allensbach, Akzeptanzanalyse II, 2013, S. 40 f.
23 Ruhr-Universität Bochum, Wohlergehen von Kindern, 2013, S. 132
24 Allensbach, Akzeptanzanalyse II, 2013, S. 37
25 Allensbach, Akzeptanzanalyse II, 2013, S. 36
26 Forsa, Familie und Wahl, 2013, S. 6
27 Achter Familienbericht, 2012, 2.3.4.
28 Vgl. Fachinformation des Familienbundes „Bewertung des Achten Familienberichts“ vom 28. März 2012
29 Allensbach, Akzeptanzanalyse I, 2012, S. 56 f.
30 Allensbacher Archiv, lfD-Umfragen 10023 (2008)
31 Institut der deutschen Wirtschaft, Sozialbilanz Familie, 2008, S. 10
32 BMFSFJ, Kindergeld in Deutschland - Familien wirksam fördern, 2008
33 BMFSFJ, Dossier Armutsrisiken von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, 2008
34 Ruhr-Universität Bochum, Wohlergehen von Kindern, 2013, S. 157 f.
35 Vgl. Stellungnahme des Familienbundes vom 16.03.2008
36 Vgl. Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz (BT-Drs. 17/15)
37 Vgl. BT-Drs. 17/11425
38 Vgl. BT-Drs. 13/1558
40 Vgl. FAZ vom 25.04.2013
41 Bundestagswahlprogramm 2013, Kapitel H. 2.
42 Vgl. u.a. 34. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz, Die Grüne Kindergrundsicherung: Mut zum Systemwechsel im Familienleistungsausgleich, 2012
43 Vgl. Fachinformation des Familienbundes „Ehegattensplitting“ vom 04.10.2012
44 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 11.04.2013, BT-Drs. 17/13044
45 Siehe auch Reinhard Loos, Familiensplitting – die Zukunft?, Stimme der Familie, 4/2012