Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken

· Stellungnahmen

zum Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
„Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums“ vom 09. November 2009, BT-Drucks. 17/15

I. Allgemeine Erwägungen

Der Familienbund der Katholiken begrüßt das Anliegen des Entwurfs, angesichts der schwer wiegenden Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise neue Impulse für einen stabilen wirtschaftlichen Aufschwung zu setzen und bei den Familien als den grundlegenden Leistungsträgern unserer Gesellschaft maßgeblich anzuknüpfen.

Familien tragen durch ihr Konsumverhalten entscheidend zur Sicherung der volkswirtschaftlichen Grundlagen bei. Familien kommt daher eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der gegenwärtigen Krise zu. In Übereinstimmung mit der Intention des Entwurfs, durch die gezielte Stärkung der Kaufkraft von Familien neue Nachfrageimpulse auszulösen, unterstützt der Familienbund die angestrebte steuerliche Entlastung von Familien und die daraus abgeleitete Erhöhung des Kindergeldes als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings können die Maßnahmen nur dann die gewünschten volkswirtschaftlichen Effekte entfalten, wenn sie insgesamt zu einer deutlichen und nachhaltigen Verbesserung der finanziellen Situation von Familien führen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die soziale Ausgewogenheit der Maßnahmen zu achten. Gerade die besonders „konsumintensiven“ unteren und mittleren Einkommensbereiche dürfen bei den Verbesserungen nicht nachstehen. Insoweit sieht der Familienbund Ausbaubedarf im vorliegenden Gesetzesentwurf.

Zugleich weist der Familienbund darauf hin, dass sich die geplanten Verbesserungen nicht nur mit volkswirtschaftlichen Erwägungen begründen lassen. Sie stellen auch unverzichtbare Schritte dar, um den Familienleistungsausgleich konsequenter an den Vorgaben unserer Verfassung auszurichten und die Leistungen von Familien für die Gesellschaft angemessener auszugleichen. Familien sichern nicht nur den Fortbestand unseres Gemeinwesens, sie entlasten den Staat auch durch die in der Familie gelebte Solidarität. Familien legen mit der Erziehung der Kinder den Grundstein zur Entfaltung verantwortungsvoller Menschen, die unser Land in Zukunft tragen. Sollen Familien ihren für die Gesellschaft unverzichtbaren Funktionen auch zukünftig gerecht werden, benötigen sie angemessene wirtschaftliche Rahmenbedingungen. 


II. Zu den Regelungen im Einzelnen

1. Anhebung der kindbedingten Freibeträge
Artikel 1 Nr. 4  (§ 32 Absatz 6 Satz 1 Einkommensteuergesetz n.F.)

Der Familienbund begrüßt die Anhebung der kindbedingten Freibeträge von insgesamt 6.024 Euro auf 7.008 Euro pro Jahr als überfälligen Schritt in die richtige Richtung. Dabei handelt es sich nicht um ein „Steuergeschenk“ für Familien, sondern um die konsequentere Umsetzung verfassungsgerichtlicher Vorgaben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die steuerliche Leistungsfähigkeit von Eltern durch die Kosten für den Lebensunterhalt ihrer Kinder gemindert. Entsprechend ist das Kinderexistenzminimum von der Einkommensteuer zu verschonen. Die Freibeträge für Kinder dürfen die Kindermindestbedarfe nicht unterschreiten (vgl. BVerfGE 87, 153, 169 ff.).

Der aktuelle Betrag der Kinderfreibeträge in Höhe von 6.024 Euro basiert auf den Erkenntnissen des Siebenten Existenzminimumberichts der Bundesregierung vom 21.11.2008 (BT-Drucks. 16/11065). Danach werden das sächliche Existenzminimum mit 3.864 Euro pro Jahr und der Bedarf für Betreuung und Erziehung bzw. Ausbildung mit 2.160 Euro pro Jahr beziffert.

Aus Sicht des Familienbundes wird das Kinderexistenzminimum im Siebenten Existenzminimumbericht nicht realitätsgerecht dargestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen erkannt, dass das steuerliche Existenzminimum für möglichst alle Steuerpflichtigen in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen ist (vgl. BVerfGE 99, 246, 261). Hintergrund ist, dass dem Steuerzahler von seinem Erworbenen zumindest soviel verbleiben muss, wie er zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes seiner Person bzw. seiner Familie bedarf, damit eine Abhängigkeit von Sozialtransfers gerade nicht eintritt.

Kritisiert hat der Familienbund unter anderem die Nichtberücksichtigung des Regelbedarfs für Kinder ab Vollendung des 18. Lebensjahres, die Ausklammerung der hohen Mietenstufen bei den Wohnkosten sowie die zu niedrige Bemessung des Platzbedarfs für Kinder. Die nur unzureichende Erfassung von Preissteigerungen bei den Heizkosten zählt ebenso zu den bemängelten Punkten wie der fehlende Inflationsausgleich beim Bedarf für Betreuung und Erziehung bzw. Ausbildung.

Der Familienbund hat aufgrund der zahlreichen Mängel des Siebenten Existenzminimumberichts eigene Berechnungen erstellt, die sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren und Kostensteigerungen in tatsächlichem Umfang berücksichtigen. Danach müssen die kindbedingten Freibeträge mindestens auf insgesamt 6.829 Euro ansteigen (bzgl. der Einzelheiten der Berechnung siehe http://www.familienbund.org/bilder/_upload/20112008-335.pdf ).

Zwischenzeitlich hat sich eine weitere Anpassungsnotwendigkeit ergeben. Infolge der Anhebung der Regelsätze für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren in Bedarfsgemeinschaften nach SGB II und SGB XII auf 70% des Eckregelsatzes zum 1. Juli 2009 bedarf es zwingend einer weiteren Anhebung der aktuellen Freibeträge um 192 Euro auf 7.021 Euro pro Jahr. Der sozialhilferechtliche Mindestsachbedarf ist nämlich Maßgröße für das steuerlich freizustellende sächliche Existenzminimum eines Kindes (bzgl. der Einzelheiten siehe http://www.familienbund.org/2/showartikel.php?id=341&druckversion=1 ).

Mit gleicher Begründung ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem für Anfang nächsten Jahres erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gestaltung der Kinderregelsätze nach SGB II und SGB XII weiterer Erhöhungsbedarf ergeben kann. Der Familienbund geht auf der Grundlage eines Berechnungskonzepts des Deutschen Caritasverbandes davon aus, dass am realen Bedarf orientierte kindspezifische Regelsätze je nach Altersgruppe mindestens zwischen 21 und 42 Euro über den aktuell abgeleiteten Kinderregelsätzen liegen müssten (bzgl. der Einzelheiten siehe http://www.familienbund.org/bilder/_upload/20102009-373.pdf ). In der Konsequenz müsste der Kinderfreibetrag nochmals deutlich steigen.

Aus alledem folgt, dass eine deutliche Anhebung der kindbedingten Freibeträge nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern steuersystematisch geradezu geboten ist. Die Anpassung auf 7.008 Euro pro Jahr stellt bei genauer Betrachtung keine „Entlastung“ im Sinne einer politisch frei verantwortbaren Entscheidung dar. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist eine „Nichtbelastung“ der aufgrund des Kindesunterhalts nicht zur freien Verfügung stehenden Einkommensbestandteile von Familien sicherzustellen; durch die Anhebung der Kinderfreibeträge wird die Umsetzung dieser Vorgabe stärker an die realen Gegebenheiten genähert.

Der Familienbund begrüßt, dass die Anhebung nicht nur den Freibetrag für das sächliche Existenzminimum, sondern erstmals auch den Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf erfasst. Die Erhöhung desselben um 480 Euro auf 2.640 Euro pro Jahr gleicht in etwa die Inflation seit seiner Einführung in den Jahren 2000 und 2002 aus und trägt den gestiegenen Bildungskosten sowie den gestiegenen Opportunitätskosten in Fällen (teilweisen) Erwerbsverzichts Rechnung.

Der Familienbund regt den Gesetzgeber an, eine Anhebung der Freibeträge für Kinder auf 8.004 Euro pro Jahr in Erwägung zu ziehen. Nur in diesem Falle kann von einem über das verfassungsrechtlich vorgegebene Mindestmaß hinausgehenden angemessenen Familienleistungsausgleich gesprochen werden. In diesem Zusammenhang gibt der Familienbund zu bedenken, dass es auch im Interesse der konjunkturpolitisch gewollten Konsumbelebung sachgerecht wäre, die ab 1. Januar 2010 vorgesehene Höhe des Grundfreibetrags für Erwachsene von 8.004 Euro auf die kindbedingten Freibeträge zu erstrecken. Familien sind gezwungen, einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihrer Einnahmen für den Konsum auszugeben. Eine stärkere Entlastung von Familien würde damit noch deutlicher zur Konjunkturbelebung beitragen und die kaum nachvollziehbare Ungleichbehandlung von Erwachsenen und Kindern bei den steuerlichen Freibeträgen beenden. Die Ausgaben für Kinder sind aufgrund der überdurchschnittlichen Bedarfe u.a. für Bekleidung und Bildung denen von Erwachsenen durchaus vergleichbar. 


2. Erhöhung des Kindergeldes
Artikel 1 Nr. 7  (§ 66 Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz n.F.)Artikel 8 (§ 6 Absatz 1 Bundeskindergeldgesetz n.F.)

Der Familienbund begrüßt die geplante Kindergelderhöhung grundsätzlich, hält den Erhöhungsbetrag von 20 Euro pro Monat allerdings für nicht zureichend. Der Erhöhungsbetrag muss sich mindestens auf 27 Euro monatlich belaufen.

In dem Verhältnis, in dem die kindbedingten Freibeträge steigen, ist auch das Kindergeld anzuheben. Ansonsten würde der Anteil am Kindergeld, der eine echte Förderung von Familien ist, weiter abnehmen. Schon jetzt handelt es sich bei deutlich über der Hälfte der staatlichen Kindergeldzahlungen ausschließlich um die Rückzahlung zuviel erhobener Lohn- und Einkommensteuern und nicht um Familienförderung (vgl. BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Ausgabe 2008, Tab. 20.1.1). Der Deutsche Bundestag hat in einer Entschließung (BT Drucks. 13/1558) in zutreffender Weise festgestellt, dass das Kindergeld entsprechend zu erhöhen ist, wenn der Kinderfreibetrag steigt.

Steigen die kindbedingten Freibeträge von 6.024 Euro pro Jahr auf 7.008 Euro pro Jahr, entspricht das einer Erhöhung von gut 14%. Für das aktuelle Kindergeld in Höhe von 164 Euro monatlich für erste und zweite Kinder folgt daraus eine Erhöhung um mindestens 27 Euro auf 191 Euro monatlich. Für weitere Kinder ist der Betrag ebenfalls entsprechend stärker zu erhöhen.

Für die mindestnotwendige Erhöhung des Kindergeldes kann maßgeblich nur die Anhebung der kindbedingten Freibeträge insgesamt, also einschließlich des Freibetrags für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung sein. Die Familien, bei denen wegen der Höhe ihres Einkommens Freibeträge keine Wirkung entfalten, müssen schließlich die Kosten für Betreuung, Erziehung und Ausbildung aus den Kindergeldzahlungen und ihren anderen Einkünften selbst decken.

Deutlich wird die Notwendigkeit einer stärkeren Erhöhung des Kindergeldes auch anhand eines Vergleichs mit der maximalen Wirkung der kindbedingten Freibeträge. Letztere steigt um 34 Euro monatlich (ohne „Reichensteuer“ und Solidaritätszuschlag). Wird das Kindergeld lediglich um 20 Euro erhöht, nimmt die Diskrepanz zwischen Kindergeld und maximaler Freibetragswirkung erheblich zu. Systematisch findet dies zwar eine Begründung in den unterschiedlichen Ansätzen von Steuergerechtigkeit und Familienförderung. Aus verteilungspolitischen Gründen ist es aber einsichtig, dass der finanzielle Ausgleich von kindbedingten Kosten mittels Kindergeld nicht noch stärker hinter der Freibetragswirkung zurückfallen sollte.

Der Effekt einer Kindergelderhöhung zur Armutsreduzierung ist keineswegs gering zu schätzen. Laut 3. Armuts- und Reichtumsbericht hat das Kindergeld für rund 1,6 Millionen Kinder eine armutsreduzierende Wirkung. Das Kindergeld gleicht etwa ein Drittel der durchschnittlich anfallenden Aufwendungen für ein Kind aus. Insbesondere für Mehrkindfamilien und Alleinerziehende ist es bedeutsam. Bei Alleinerziehenden macht das Kindergeld im Durchschnitt knapp 22% des Haushaltsnettoeinkommens aus. Bei Familien mit drei oder mehr Kindern liegt der Anteil des Kindergeldes am Haushaltseinkommen bei 15%.

Im Interesse eines angemessenen Familienleistungsausgleichs hält der Familienbund langfristig eine Erhöhung des Kindergeldes auf 300 Euro für alle Kinder für notwendig. Korrespondierend mit der ebenfalls geforderten Erhöhung der Freibeträge für Kinder auf 8.000 Euro (s.o.) entspräche das Kindergeld damit der maximalen Freibetragswirkung. Dem Wunsch nach einer finanziellen Gleichbehandlung aller Kinder in der Zusammenschau von Kindergeld und Kinderfreibetrag wäre damit Rechnung getragen, ohne verfassungsrechtliche Vorgaben zur Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen.

Berlin, 27. November 2009
Familienbund der Katholiken

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